Während meiner Gesangsausbildung habe ich unterschiedliche Ansätze methodischer und didaktischer Art
erlebt. Diese widersprachen sich oft und schienen unvereinbar. Während Anhänger der Martienßen-Lohmann-
Schule jede sängerische Bewusstheit am liebsten in Bildern und Klangvorstellungen ausdrücken wollen, wird
beim funktionalen Stimmtraining versucht, den körperlichen Abläufen während des Singens möglichst präzise zu
folgen. Was mich an beiden Schulen anspricht, ist die Verfolgung eines strukturierten Lernprozesses mit dem
Ziel, eine Bewusstheit zu vermitteln, von der aus sich sängerische und künstlerische Absichten leiten lassen.

Während meines Studiums der Musikwissenschaft und der Musikpädagogik hatte ich Gelegenheit, die
unterschiedlichen kulturellen Hintergründe, die eine pädagogische Richtung bedingen, genauer zu studieren und
miteinander in Bezug zu bringen. Insbesondere habe ich mich mit der Gesangsschule von Franziska
Martienßen-Lohmann auseinandergesetzt - zum einen aus Neugier, weil die berühmte Pädagogin meine
Großtante ist, die ich nie kennen gelernt habe, zum anderen aus fachlichem Interesse: Wie kommt eine Schule,
die sich als "psychologisch" bezeichnet, auf die Idee, physiologisch orientierte Schulen abzulehnen? Wie kommt
es überhaupt zu der häufig anzutreffenden Trennung von geistigen und körperlichen Prozessen?

Letztendlich kam ich bei meinen Studien zu der Erkenntnis, dass hinter einzelnen Schulen bestimmte
Anschauungen des Seins stehen, die den Geist bzw. den Körper höher bewerten. Die maßgeblich durch
Franziska Martienßen-Lohmann geprägte deutsche Gesangsschule versucht sich besonders auf die geistig-
sprachliche Durchdringung des Vortrags zu konzentrieren und lässt die körperliche Seite des Singens nur in
diesem sublimierten Zustand gelten. Hier nimmt die deutsche Gesangstradition des sehr "kopfigen" und
ästhetisch normierten Gesangs ihren Ausgang - eine Auffassung, die heute differenziert gesehen werden muss.

Um die unterschiedlichen Gesangsschulen kritisch betrachten zu können, ist es notwendig, ihren historischen
Kontext angemessen zu berücksichtigen. Und diese intensive Betrachtung hat mir den Blick für mein eigenes
Singen und für meine eigene Art der Gesangsvermittlung geschärft.

Die Studie zur "psychologischen" Gesangsschule von Franziska Martienßen-Lohmann ist meine Magisterarbeit
im Fach Musikwissenschaft vom Sommer 2008; im Oktober 2007 wurde der Aufsatz Zur Entstehung der
"psychologischen" Gesangsschule Franziska Martienßen-Lohmanns in der Fachzeitschrift Vox humana
veröffentlicht [Vox humana, Jahrgang 3, Heft 2, Oktober 2007, S.16 - 18].

Studie zur "psychologischen" Gesangsschule von Franziska Martienßen-Lohmann
Vox humana
 
 
In dem Leitfaden Singen und Lernen habe ich die pädagogischen Grundsätze meiner Art des Lehrens in leicht
verständlicher Form zusammengefasst - als praxisorientierte Hilfe für meine Schülerinnen und Schüler.